Das Dilemma mit dem Spritpreisrechner

Die Entwicklung des Benzinpreises in Österreich unterliegt einigen betriebswirtschaftlichen und streng wissenschaftlichen Bedingungen, die ich hier gerne für euch (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zusammenfasse:

  • Steigt in Rotterdam der Barrelpreis Rohöl -> steigt der Benzinpreis
  • Sinkt in Rotterdam der Barrelpreis Rohöl -> steigt der Benzinpreis
  • Liegt einem Ölboss der Muffin vom Frühstück noch im Magen -> steigt der Benzinpreis
  • Fühlt sich meine Oma im Burgenland gerade ein bisschen unwohl -> steigt der Benzinpreis

Spass beiseite – hier steht, wie die Erdölindustrie die Preisbildung auf dem Ölmarkt sieht.

„Mehr Transparenz erhöht den Wettbewerb“ hat sich daher der österreichische Gesetzgeber gedacht und im Frühjahr 2011 eine Novelle des Preistransparenz-Gesetzes verabschiedet. Diese neue Verordnung trat Anfang August 2011 in Kraft und verpflichtet bei Androhung von drakonischen Strafen (im Wiederholungsfall sogar bis zu 7.260 EUR) alle österreichischen Tankstellenbetreiber, Änderungen am Bezinpreis unverzüglich (also binnen 10Min) elektronisch zu melden. Wirtschafts- und Energieminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) war überzeugt „Wir schaffen so bei den Konsumenten ein noch stärkeres Bewusstsein für die Vorteile von Preisvergleichen.“

Auf www.spritpreisrechner.at wird seit gestern sollte werden vielleicht irgendwann mal die Preise der fünf günstigsten Tankstellen in der Umgebung des Autofahrers in Echtzeit abrufbar. Weiters auch Daten über die Öffnungszeiten und das Shopangebot der Tankstellen abrufbar sein. Beauftragt damit wurde kraft Gesetz die E-Control, der behördlicher Regulator des österreichischen Strommarktes, seit März 2011 eine Anstalt öffentlichen Rechts. Dem dortigen Impressum entnimmt der penible Leser auch ganz genau die Aufgabe dieser Behörde: „…die Umsetzung der Liberalisierung des österreichischen Strom- und Gasmarktes zu überwachen, zu begleiten und gegebenenfalls regulierend einzugreifen.“

Was jetzt der Spritpreis genau mit dieser Aufgabendefinition zu tun haben soll, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber egal, das ist eine super Sache, auch wenn es durchaus einige Kritiker gab. Umso gespannter war ich (und abertausend andere) auf den lange angekündigten Start dieser Spritpreisdatenbank am 16.08.2011. Der vom Wirtschaftsministerium bestätigte Preis von 60.000 EUR Steuergeld erschien vielleicht manchen Technikern für eine relativ simple Webdatenbank üppig, aber um den Batzen Geld kann man schon was Beeindruckendes zaubern.

Die Spannung wird leider auch noch unbestimmte Zeit so bleiben, denn die Website funktioniert nicht. Dienstag Mittag flatterte schon des Rätsels Lösung via Presseaussendung des Leiter der Abteilung Volkswirtschaft der E-Control herein: der Spezialist war allen Ernstes der Ansicht, es „…kann auch ein Angriff durch Hacker eine mögliche Ursache sein.“ Diese Idee war dann nach reiflicher Überlegung wohl selbst seinen eigenen Informatikern zu blöd, am nächsten Tag kam die endgültige Auflösung: Es scheiterte nicht an obskuren Hackerangriffen, sondern ganz simpel an mangelhafter Skalierbarkeit, das Ministerium ist not amused.

Inmitten des mittlerweile wunderschön entfalteten Shitstorms hat der Twitteraccount @energiecontrol aber Zeit gefunden, auf meine Anfrage zu antworten. Allein das gehört schon positiv vor den Vorhang, weil beileibe nicht selbstverständlich. Gerne führe ich daher extra für ihn meine Kritik etwas detaillierter aus:

TomThaler auf TwitterE-Control auf Twitter

1) In Erweiterung der bekannten Fragestellung make-or-buy möchte ich es ausdehnen auf „Hab ich das für den Projekterfolg notwendige Knowhow im Unternehmen, oder muss ich es zukaufen?“ Es ist kein Vorwurf, sondern eine simple Feststellung, dass euer Portal http://www.e-control.at in der Vergangenheit in keinster Weise als Traffikbooster zu klassifizieren war. Und die beinharte Realität hat besser als irgendjemand anders gezeigt, dass eure Erfahrung mit hochperformanten Webseiten im höflichsten Fall als überschaubar bezeichnet werden kann. Ein kleine Webapplikation mit ein paar tausend Besuchern am Tag ist leider noch lange keine valide Referenz. Sorry, so stolz ihr auf den Tarifkalkulator auch sein mögt. Mir ist ehrlich gesagt vollkommen unklar, wie sich eine Behörde einen derartigen Lapsus leisten kann, ohne dass zeitnah Konsequenzen gezogen werden.Trafficentwicklung

2) Aber man muss/kann nicht alles selbst können. Gerade im Hosting-Bereich empfiehlt sich grundsätzlich die Zusammenarbeit mit einem größeren Anbieter, wer will schon ein eigenes Rechenzentrum finanzieren und betreiben? Der Minister mag bei dieser Größenordnung vielleicht schon ein unbestimmtes Risiko sehen, für uns Portalexperten ist das tägliches Brot. Leider hat niemand die Kristallkugel, die einem den Traffic von morgen heute schon vorhersagt – das wäre wunderbar. Heutige Webanwendungen erfordern einfach Skalierbarkeit und Lastverteilung, das hätte euch eigentlich jeder seriöse IT-Partner schon im Vorfeld sagen müssen. Wir wollen doch keine Angst vor dem Erfolg haben, oder? Und mal ganz unter uns: 150.000 Zugriffe an einem Vormittag zwingen doch noch lange keine professionelle Serverlandschaft in die Knie!

3) Zu einem gut aufgesetzten IT-Projekt gehören selbstverständlich auch Krisenpläne. Jeder, der schon einmal einen Portal-Relaunch mitgemacht hat, weiss, dass sich hier immer wieder kleine Fehler einschleichen – darauf muss man vorbereitet sein. Auch (oder vor allem) für den Super-GAU, wenn nämlich gar nichts mehr geht. Dann plötzlich mit Verschwörungstheorien bezüglich ominösen Hackerangriffen an die Öffentlichkeit zu gehen, darf ich getrost als grottenschlecht und dilettantisch bezeichnen.

Für eine staatliche Behörde gilt das bedauerlicherweise alles mal zwei! Überall wo öffentliches Geld in diesen Grössenordnungen verwendet wird, schaut der interessierte Steuerzahler ganz genau hin. Wenn meine Unternehmensberatung ein Projekt so dermassen in den Sand setzen würde, hätte ich schon Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe am Schreibtisch. Als Beamter kann man das natürlich etwas entspannter und relaxter angehen, ändert aber nichts an der grundsätzlichen Thematik. Wirklich schade, weil die Idee des Spritpreisrechners ist spitze. Speziell als mobile App ist da sicherlich eine breite Nachfrage quer durch ganz Österreich, hat ja niemand was zu verschenken 😉

3 Antworten

  1. Toller Beitrag Tom,

    Es ist wirklich rätselhaft wie so eine Umsetzung ohne die Apps so teuer sein konnte. Aber ist ja typisch für Österreich, dass unser Steuergeld verbraten wird ohne Ende.

    Und von Hackangriffen zu reden ist doch der größte Schwachsinn. Ich weiß aus eigener Erfahrung wie sehr Radiobeiträge zum Traffic einer frisch gestarteten Website beitragen können und gerade beim Thema Spritpreis sind zig-tausende Aufrufe in den ersten Stunden vollkommen normal.

  2. Zur technischen Ausführung möchte ich gar kein Kommentar abgeben …

    Interessant ist aber folgendes:
    * App für iPhones ist lt. http://help.orf.at/stories/1687006/ in Entwicklung – für Android aber nicht
    * der ÖAMTC hat Ende Juli die „Billig Tanken“ App aktualisiert (http://www.werbeplanung.at/news/medien/2011/07/oeamtc-ergaenzt-mobile-app-um-verkehrsmeldungen-und-zusatzinfos/)

    Herr Minister Mitterlehner (ÖVP), das wäre doch ideal für eine Kooperation mit dem gelben Automobilclub … oder soll ich lieber schwarzen Automobilclub schreiben *fg*

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