Jagdclub.tv – wie viel Wahrheit erträgt der Wähler?

Einleitende Info für alle meine Blogleser, die nicht aus Tirol kommen: In Innsbruck tobt derzeit Wahlkampf – am kommenden Sonntag wird der Gemeinderat der Stadt gewählt, gleichzeitig findet die Bürgermeisterdirektwahl statt. Aus diesem Grund hat das Medienkolleg Innsbruck zu einer etwas anderen Elefantenrunde eingeladen: dem Jagdclub. Ohne Heiße Luft und leere Floskeln war das Motto – dementsprechend gespannt und freundig erregt war die virtuell versammelte Netzgemeinde gestern am 09.04.2012 um 19:00 Uhr.

Organisation

Anders als die gähnend langweiligen Diskussionsrunden, die wir aus dem ORF kennen, waren die Fragen an die Politik hier nicht mit den jeweiligen Pressereferenten akkordiert und abgesprochen, sondern wurden teilweise live via Twitter und Facebook vom Publikum gestellt. So erklärt sich auch das teilweise wirklich peinliche Gestammel unserer potentiellen Bürgermeister, das so fernab der sonst immer makellosen Pressemitteilungen lag. Mal ehrlich: interessiert es jemanden, ob ein Kandidat im echten Leben gelbere Zähne hat, als auf dem Werbeplakat oder was sein Kampfgewicht ist? Mich persönlich mal nicht.

Eingeladen waren alle Spitzenkandidaten für das Bürgermeisteramt : Christine Oppitz-Plörer (FI), Christoph Platzgummer (ÖVP), Sonja Pitscheider (Grüne), Marie-Luise-Pokorny-Reitter (SPÖ), Rudi Federspiel (Liste Federspiel) und August Penz (FPÖ). An dieser Stelle muss ich mich selbst korrigieren: alle war das falsche Wort, es treten zur Wahl auch noch der Tiroler Seniorenbund, die KPÖ sowie die Piratenpartei an – für die war nur laut Veranstalter am Podium kein Platz mehr. Schade eigentlich, ich hätte vor allem die Piraten gerne mal im Einsatz erlebt.

Die Stimmung war durchaus angenehm, für Wahlkampfzeiten nicht allzu gehässig. Das ganze Ambiente hat für mich ein bisschen an die Anfänge von TV-Total mit Stefan Raab erinnert – die kurzen Musikunterbrechungen waren für österreiche Fernsehformate zwar ungewohnt, aber nicht unlustig. Speziell als die Gemüter etwas überkochten, brachte der Livesound spürbare Beruhigung hinein.

Modus

Live-Votings sind derzeit absolut im Trend, das konnten wir zuletzt auch bei der deutschen TV-Castingshow Unser Star für Baku beobachten. Im Jagdclub konnte das Publikum via Echtzeit-Voting die geladenen Studiogäste (positiv oder negativ) bewerten – bei besonders vielen negativen Votings sogar für 3min stumm schalten 😉

Der Ansatz gefällt mir sehr gut, die praktische Ausführung hat dann für mich doch einiges Optimierungspotential aufgeworfen. Nachdem wahrscheinlich kaum einer der Kandidaten mit den Begriffen unique IP oder multi-votes etwas anfangen kann, darf sich speziell Federspiel noch nicht zu früh freuen: Seine gestern knapp 1.200 plazierten Stimmen garantieren bei der Wahl noch keinen fixen Platz im Gemeinderat – jeder Zuseher konnte nämlich alle 120sek jeden einzelnen Kandidaten bewerten. Ich schätze mal, dass nicht mehr als 300 Menschen tatsächlich bei diesem Voting mitgemacht (siehe Update ganz unten). Gerüchte aus gewöhnlich gut informierten Quellen erzählen von Anhängern, die gleichzeitig mit zwei Smartphones, einem iPad und drei Computern gevotet haben – daraus resultiert auch der bei allen Bewerbern stark negative Überhang. Sinnvoller wäre wahrscheinlich eine Aufteilung in drei oder vier Themengebiete, nach denen das Voting wieder auf Null gestellt wird. Anzudenken wäre auch, sich bei jeder Votingrunde für einen Kandidaten entscheiden zu müssen – damit wird das alberne Bad Campaigning etwas unterbunden.

Wie bei jeder Wahl kann somit jede Partei den Sieg für sich reklamieren und in das Abstimmungsergebnis hineininterpretieren, was sie wollen.Echtzeit Voting

Inhalte

Auch wenn es mache Wiener ORF-Journalisten nicht verstehen oder wahrhaben wollen, es ging um die Innsbrucker Gemeinderatswahl. Eine Fokussierung auf lokale Themen für jeden politisch halbwegs erfahrenen Beobachter daher logisch und nachvollziehbar. twitterfail

Man hat deutlich gesehen, was die Zuseher interessiert:

  • Wohnen
  • Verkehr
  • Wahlkampfkosten
  • unser Marokkaner-Thema
  • Kultur(?)

Eine detailierte inhaltliche Analyse würde hier den Rahmen sprengen, das erledigen sicher noch andere. Nur zwei Highlights, leider symptomatisch:

  • Ich verspreche nichts Konkretes, aber dafür werde ich mich mit ganzer Kraft einsetzen. (Penz)
  • Ich bin zwar Stadrätin für Tiefbau und Wohnen, habe aber mit dem Wohnbau eigentlich nichts zu tun. Das ist ein Thema der Raumordnung, nicht der Vergabe. (Pokorny-Reitter)

Update (10.04.2012, 20:00 Uhr)

Florian Rudig war so nett und hat mir gerade die Details zu den Zugriffen geschickt. Tolle Sache – liegen weit über meinen Schätzungen: Insgesamt wurden 26.516 Votes abgegeben. 1.540 unique IPs wurden beim Voting registriert. Nur von 13 IPs kamen mehr als 3 Sessions. Für die erste Sendung kann man wirklich von einem bahnbrechenden Erfolg sprechen – herzliche Gratulation ans Team.

2 Antworten

  1. Pokorny-Reitter hat leider Recht. Und Penz vermutlich auch 😉

    Ich fands gestern eine sehr spannende Diskussion, endlich einmal auch ein bisschen inhaltlich, was für den Moderator spricht. Das Votingsystem hat Optimierungsbedarf, aber das ist ja der Sinn eines Piloten…

  2. Reblogged this on edi(n)fying everyday life und kommentierte:
    „Der JAGDCLUB ist eine Live-TV-Sendung im Internet, in der die Zuseher aktiv an der Diskussion teilnehmen können und sollen. Jeden ersten Montag im Monat werden zu brennenden, kontroversiellen, kritischen Themen die Meinungsmacher eingeladen und müssen sich nicht nur den direkten Fragen des Moderators, sondern vorallem auch den Kommentaren und dem Voting der Zuseher stellen.“

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