Wie weit darf ich meine Klappe aufreißen?

Netzaffine Menschen wähnen sich unter dem Schirm der Meinungs- und Pressefreiheit meist absolut sicher. Nun gelten aber auch auf Blogs, Facebook, Twitter & Co eine ganze Reihe von Rechtsnormen, die den Vorlauten mitunter teuer kommen können – Unwissenheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht.

In dieser neuen Artikelreihe möchte ich einige speziell für Blogger und Kommentiersüchtige sehr wichtige Paragraphen des österreichischen Rechts aus diesem Themengebiet erläutern, aus Platzgründen teile ich das auf mehrere Beiträge auf. Meine Jus-Professoren mögen es mir nachsehen: nicht jeder Leser hat Rechtswissenschaften studiert und ist mit den gängigen Zitierregeln vertraut – ich bemühe mich daher um allgemeinverständliche Formulierungen und vermeide zu viele juristische Fachbegriffe.

Der Gesetzgeber hat bei vielen Rechtsnormen die Problematik der Abwägung von zwei diametral auseinandergehenden, aber jeweils durchaus berechtigten Interessen. Hier geht es vor allem um das Recht auf freie Meinungsäußerung, welches im Staatsgrundgesetz (StGG) Artikel 13 publiziert ist, im Lichte der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Artikel 10 … sowie das Rechtsgut Ehre, welches als absolutes Recht den Schutz gegen Eingriffe Dritter genießt.

Unser Strafgesetzbuch (StGB) nennt sie „strafbare Handlungen gegen die Ehre“, das zivilrechtliche Gegenstück (ABGB) behandelt private Schadenersatzansprüche für Ehrenbeleidigungen und Kreditschädigungen.

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Wer möchte schon ins Gefängnis?

Beginnen wir heute mit dem unangenehmeren Teil: Bei Vergehen, die nach dem Strafgesetzbuch (StGB) geahndet werden, drohen nämlich neben Geldbußen/Tagessätzen auch Freiheitsstrafen. Grundsätzlich sind alle strafrechtlichen Ehrendelikte sogenannte Privatanklagedelikte, sie werden (bis auf wenige Ausnahmen) nur auf Verlangen des in der Ehre Verletzten verfolgt. Für die Praxis gilt also: Wo kein Kläger, da kein Richter. Es ist allerdings oft nur eine Frage der Zeit, bis man einmal an den Falschen gerät, der sich Unterstellungen oder Beleidigungen nicht gefallen lässt und dagegen gerichtlich vorgeht. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!

Opfer eines strafrechtlichen Ehrendelikts können anders als im Zivilrecht nur natürliche Personen (=Menschen) sein. Wie immer keine Regel ohne Ausnahme – verfassungsmäßige Vertretungskörper wie Nationalrat oder Landtag, unser Bundesheer oder Behörden sind da ebenfalls geschützt (§116 StGB).

Üble Nachrede ( §111 StGB)

Das notwendige Publizitätserfordernis ist für Blogger durch die Veröffentlichung im Internet so gut wie immer gegeben, Beweis liegt üblicherweise mittels Screenshot vor. Ärgerlicherweise handeln wir uns durch die elektronische Verbreitung meist auch gleich die straferhöhende Qualifikation (§111 Absatz 2 StGB) ein, in der Regel wird es sich also um ein Medieninhaltsdelikt handeln. Ob nun ein Facebook-Kommentar in einem privaten Profil, welches nur 50 Freunde lesen konnten, bereits als „qualifiziert öffentlich“ zu sehen ist, wird in Zukunft sicherlich noch durch die Höchstgerichte detailliert ausjudiziert werden.

Bei der Schmähung (Absatz 1, erster Fall) schreiben wir dem Opfer Charaktermerkmale oder innere Einstellungen zu, die von einem wertverbundenen Menschen wegen ihrer diffamierenden Wirkung als untragbar empfunden werden und das Opfer als schlechten, nichtswürdigen Menschen erscheinen lassen. Es geht hierbei also um konkrete und substantiierte Charaktervorwürfe, nicht um pauschale Herabsetzungen (das wäre sonst eine Beleidigung nach §115 StGB).

strafbar: „Der Kärntner Staatsanwalt ist korrupt“, „X gehört zur Mafia“ oder „jeder Politiker ist ein Verbrecher
nicht strafbar: „X ist lästig“, „das Theaterstück ist fürchterlich“, „Y ist ein Protektionskind“ oder „den Gesetzesentwurf von Z finde ich nicht zweckdienlich“

Kritik in Form einer persönlichen Wertung ist nicht zuletzt aufgrund der EMRK erlaubt, solange sie auf einem Sachverhalt aufbaut, der entweder mitgeteilt wird oder dem Empfänger bereits bekannt ist. Das Recht zur kritischen Bewertung von Tatsachen ist übrigens nicht nur jenen vorbehalten, die mit Fachkompetenz ausgestattet sind – auch die Meinung von Außenseitern, Querdenkern oder Dilettanten ist zu respektieren. Vorsicht ist allerdings bei unzulässigen Verallgemeinerungen, Vorwürfen ohne Tatsachensubstrat, Schmähkritik und Wertungsexzess geboten. Unrichtige Tatsachenbehauptungen werden niemals als Kritik gewertet, selbst wenn sie einer emotionalen Antipathie entspringen!

Opfer, die selbst manchmal öffentlich Kritik üben (=Journalisten) oder im öffentlichen Interesse stehen (=Politiker) müssen sich da härteren Wertungen stellen, als Otto Normalbürger. Lesenswert dazu eine Erkenntnis des OGH aus dem letzten Jahr über die rote Mietenmafia. Auf hoher See und vor Gericht ist alles möglich – manchmal sogar die Bezeichnung „Trottel“ als strafloses Werturteil.

Bei der Beschuldigung eines unehrenhaften Verhaltens (Absatz 1, zweiter Fall) werfen wir dem Opfer konkret bestimmte unehrenhafte oder gegen die guten Sitten verstoßende Verhaltensweisen vor. Dieses Verhalten muss die soziale Wertschätzung beeinträchtigen.

strafbar: „X begeht ständig Vergewaltigungen“ oder „Landesrat Z hat sich bestechen lassen“
nicht strafbar: „Z bezahlt seine Strafzettel nicht“ oder „es besteht der Verdacht der Körperverletzung“

Achtung: Grundsätzlich ist bereits die ungeprüfte Wiedergabe und Weiterverbreitung fremder, wahrheitswidriger sowie den Ruf anderer Personen schädigender Behauptungen objektiv sorgfaltswidrig und strafbar – zur Zitatenjudikatur kommen wir gleich.

Wie wehren wir uns nun gegen den Vorwurf der üblen Nachrede?

1)      Wir treten den Wahrheitsbeweis (§112 StGB) an. Hier geht es darum, objektiv und sachlich zu beweisen, dass die Vorwürfe ihrem wesentlichen Inhalt nach wahr sind. Ein reines Werturteil kann klarerweise nicht bewiesen werden – das ist aber ohnehin straffrei.

2)      Selbst bei objektiver Unrichtigkeit könnten wir durch den Gutglaubensbeweis (§112 StGB) eventuell  Straffreiheit erlangen. Klingt einfach, ist in der Praxis aber dann doch nicht so leicht. Wir müssen nämlich nachweisen, dass wir zum Zeitpunkt der Vorwürfe subjektiv an deren Richtigkeit geglaubt haben UND dass für die Vorwürfe objektive Gründe vorlagen, aufgrund deren auch ein unbeteiligter Dritter zum selben Schluss kommen würde. Weiters verwehrt uns §111 Absatz 3 StGB grundsätzlich den Gutglaubensbeweis, wenn wir die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich (=Qualifizierung) gemacht haben.

3)      Wir rechtfertigen unsere Vorwürfe nach §29 Absatz 1 Mediengesetz (MedG). Hier muss allerdings ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung bestanden haben und bei aller Aufwendung der gebotenen journalistischen Sorgfalt hinreichende Gründe vorgelegen sein, die Vorwürfe für wahr zu halten. Unter die Sorgfaltspflicht fallen unter anderem eine hinreichende Recherche, Ausgewogenheit der Darstellung sowie das Anhören der Gegenseite. Die Meinungsfreiheit rechtfertigt keinesfalls leichtfertig angenommene oder gar wissentlich unwahre Behauptungen.

4)      Wir berufen uns auf die sogenannte Zitatenjudikatur, die uns eine neutrale Wiedergabe auch ehrenrühriger Äußerungen ermöglicht. Auch hier muss das Interesse an der Weiterverbreitung die Schutzinteressen des Opfers überwiegen und unsere Distanzierung erkennbar und ernsthaft sein. So wäre zB ein ReTweet einer Beleidigung auf Twitter mit der Ergänzung „Ja, genau so ist es“ wohl eher nicht einer validen Rechtfertigung förderlich, der innere Schmähungsvorsatz ist kaum widerlegbar. Zur Zeit gibt es in Österreich allerdings noch keine höchstgerichtlichen Erkenntnisse, ob und wie ein entsprechender ReTweet oder ReShare zu ahnden sind.

5) Argumentationen wie „mein Blog hat aber nur 3 Besucher am Tag“ mögen vielleicht technisch richtig sein, sind aber juristisch belanglos. Entscheidend ist die Wahrnehmbarkeit für Dritte, nicht die tatsächliche Wahrnehmung. Es spielt also keine Rolle, wie viele Menschen die Schmähung tatsächlich gelesen haben.

Das Strafrecht anerkennt im §114 StGB noch eine ganze Reihe von weiteren Rechtfertigungsgründen, die meisten davon treffen allerdings auf Blogger weniger zu.

In meinem nächsten Teil geht es dann um die Beleidigung nach §115 StGB, Kreditschädigung nach §152 StGB und Schadenersatz aufgrund Ehrenbeleidigung nach §1330 ABGB. Für wirklich Interessierte kann ich das Lehrbuch der Innsbrucker Professoren Bertel, Schwaighofer und Venier sehr empfehlen. Auch für Laien leicht zu verstehen und mit jeder Menge praktischer Beispiele.

Disclaimer: Im Ernstfall ersetzen meine Ausführungen sicher keine professionelle Rechtsberatung. Alle angeführten Informationen und Beispiele sind von mir nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt, aber natürlich ohne jegliche Gewähr.

4 Antworten

  1. Vielen Dank für den Artikel. Ich finde das Thema sehr interessant, da ich oft mein Herz auf der Zunge trage, vor allen dann wenn ich glaube, dass ich jemand schlecht behandelt wird.
    Ich greife kurz die Beispiele von oben auf. Aussagen wie „Ich bin der Meinung, dass der Staatsanwalt korrupt ist.“ oder „ich habe den Eindruck, dass sich der Landesrat bestechen lässt.“ sind meiner Meinung nach eine Aussage im Sinne der Meinungsfreiheit und kein Vorwurf.
    Ich hatte auch schon eine Diskussion mit den Grünen Wien, weil ich die Ausdehnung des Parkpickerl als vertrottelt bezeichnet habe.
    Ich habe auch das das Verhalten des Social Media Team als Klappe aufreißen bezeichnet, weil es Postings kommentiert, die es nachweislich nicht kennt.
    In beiden Fällen habe ich es als Aussagen meiner persönlichen Meinung gesehen und fühlte mich quasi von der Zensur verfolgt.
    Ich glaube, dass es bei dem Thema sehr verwinkelt ist.
    Nochmals vielen Dank für den Artikel.
    Martin Harauer

  2. Servus Martin,

    immer wenn zwei Grundrechte aufeinander prallen, wird es (auch für die Judikative) schwierig. In diesem Fall sind im Artikel 10 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sowohl Rechte, aber auch Pflichten des Grundrechtes der freien Meinungsäußerung aufgeführt. Verfassungsrecht ist wahrlich nicht einfach 😉

    Die Grenze ist naturgemäß verschwimmend und kann wahrscheinlich nicht messerscharf gezogen werden. Es gibt allerdings schon einiges an diesbezüglichen Urteilen des Obersten Gerichtshofes (OGH) – aus dieser Rechtsprechung kommen die meisten meiner Beispiele. Der OGH ist in Österreich das oberste Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

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